Philosophie

Gedanken aus Thomas Prestons Buch „Samurai-Geist“

Geistiger Fortschritt

Für einen Samurai-Philosophen stellt das tägliche Leben außerhalb des Dojo nichts anderes dar als die Fortsetzung seines Bestrebens im Dojo, den Kampf um die Beherrschung des eigenen Ichs zu gewinnen. Die Schläge und Stöße des Partners im Dojo gleichen Werkzeugen, die man zur Verbesserung der eigenen Kampftechnik nutzt. Außerhalb des Dojo sind die kleinen Schicksalsschläge das Werkzeug, mit denen man seinen Charakter formt. Beide Geschehen, das innerhalb und das außerhalb des Dojo, begrüßt man als eine willkommene Gelegenheit, mit Herausforderungen aller Art fertig zu werden. Freude schöpft man nicht aus dem Gewinnen, sondern aus der geschickten und beherzten Ausnutzung seiner eigenen Fähigkeiten in einem brillanten Kampf gegen einen würdigen Gegner.
Dabei ist es unerheblich, ob dieser Gegner ein Schwertkämpfer oder ein Schicksalsschlag ist.

Mut

Der mutige Mensch ist kein lauter Maulheld oder jemand der immer den gefährlichsten Weg beschreitet. Vielmehr behält er selbst in Anbetracht höchster Gefahr seine Selbstkontrolle. Mut ist eine Kombination vieler Faktoren. Vor allem verlangt Mut Motivation und Anstrengung. Viele Kämpfer wurden von ihrer eigenen Furcht und nicht durch einen geschickten Gegner besiegt.
Deshalb darf die Förderung von Mut in der Entwicklung eines Schwertkämpfers keinesfalls vernachlässigt werden.

Entschlossenheit

Am besten versetzt sich der Schwertkämpfer in die Rolle eines Lavaflusses, einer unwiderstehlichen Gewalt, die ungeachtet aller Hindernisse vorwärts fließt. Man muss dem Gegner zeigen, dass jeder Angriff zunichte gemacht wird und jede Schwäche mit einer alles niederwalzenden Kraft beantwortet wird. Diese zermalmende, wilde, starke Kraft ist Ki.

… Der Schwertkämpfer muss sich also vor jedem Training immer wieder vorsagen: „Ich werde nicht zurückweichen! Ich werde angreifen! Ich bin fest entschlossen, meinen Gegner niederzukämpfen!“ Dies ist der einzig richtige Weg, Entschlossenheit und starkes Ki zu entwickeln.

Erkennen der eigenen Grenzen

Ein Schwertkämpfer mit einer richtigen und philosophischen Lebenseinstellung wird sein Leben nicht achtlos fortwerfen. Aber er ist entschlossen, beherzt zu kämpfen, wenn er dazu gezwungen wird.

… Für seine eigenen Ideen, seine Vorstellungen, seine Fähigkeiten und seinen Mut zeichnet er voll verantwortlich. Soweit es in seiner Macht steht, wird er versuchen, positiv die Ideen, Einstellungen, Fähigkeiten und den Mut derjenigen Personen zu beeinflussen, die sich seinem Einfluss öffnen. Er wird aber auch erkennen müssen, dass jede Person selbst verantwortlich für ihr Leben ist, und dass er anderen nur bis zu dem Grad, den sie zulassen, helfen kann.

Bescheidenheit

Will ein Samurai Fortschritte machen, so muss er bereit sein, seine Fehler und Mängel zu erkennen und sich mit großer Energie mit ihnen zu beschäftigen. Tut er dies nicht, so wird er sie übersehen und nur aufgrund seiner technischen Fähigkeiten, stolz wie ein aufgeblasener Gockel einher spazieren. Es ist nicht unser Hauptlebenszweck auf dieser Welt, gute Kämpfer zu werden, sondern uns zu guten Menschen zu entwickeln. Dies verlangt Bescheidenheit, denn ohne sie sind wir blind für die zahllosen Gelegenheiten zur Vervollkommnung.

Eigenständiges Denken

Möchte der junge Schwertkämpfer in seinem Metier vorankommen, so muss er aus freien Stücken eine lange Lehrzeit auf sich nehmen. Während dieser Zeit muss er Ratschläge wie ein Schwamm aufsaugen. Je eher der Anfänger mit dem Zuhören und Nachahmen aufhört, desto eher wird er auch aufhören, Fortschritte zu machen.

… Die Grundlagen zu einem zufriedenen Leben sind wirklich ganz einfach. Doch ist die erste Forderung an den Schwertkämpfer, der sich philosophisch weiterbilden will, diametral entgegengesetzt der Forderung, Fortschritte im Kampf zu erzielen: er muss jetzt den Mut aufbringen, selbständig zu denken. Eine überwältigende Mehrheit der Leute richten ihr Leben nur nach der Volksweisheit- und da ist nur all zu oft überhaupt keine Weisheit. Wenn man es nun wagt, selbständig zu denken, so wird man auch den Mut brauchen, den man sich im Dojo (Übungsraum) erworben hat, da man auf starken Widerstand von allen Seiten stoßen wird.

Vergleichen

Eine andere Krankheit, die geheilt werden muss, ist die fruchtlose Besessenheit, sich immer wieder mit anderen vergleichen zu wollen. Der einzig nützliche Vergleich ist das Maß des persönlichen Fortschritts: Wie gut war ich vor einem Monat, und wie gut bin ich heute? Da wir ausschließlich für unseren Fortschritt verantwortlich sind, nicht jedoch für Beigaben der Natur oder des Schicksals, sind Vergleiche mit anderen Leuten unsinnig.

Zen und Schwertkunst

Zen hilft, fortgeschrittenen Schwertkämpfern das Ziel der totalen Konzentration im Kampf zu lehren. Der Schwertkämpfer sollte seinem Denken nicht erlauben sich zu etwas zu wünschen: zu gewinnen, zu überleben, Ehrungen zu erhalten, Schmähungen zu vermeiden. Dies lenkt nur ab vom echten Kampf.

Das tägliche Leben

In seinem täglichen Leben ist der Samurai-Philosoph stets um seine geistige Weiterentwicklung bemüht, ganz unabhängig davon, was er gerade tut.

…Von Zeit zu Zeit muss man seinem Geist erlauben, sich hochzuschwingen in die Lüfte, weit, weit über die irdischen Bedingungen hinaus. Von solch einem Punkt aus kann er herabblicken und die wahre Bedeutungslosigkeit vielen menschlichen Tuns erkennen.
…. Man wird es zufrieden sein, bescheiden an der Weiterbildung seiner armen Seele fortfahren zu können, frei vom Wunsch, höher zu sitzen als die anderen Frösche um den Tümpel.

Der Tod

Unreife Leute denken: „Irgendwann einmal, in ferner Zukunft, nachdem ich mein Leben gelebt habe, werde ich sterben.“ Eine reife Person ist bereit, heute zu sterben.
Ein „Ich bin bereit, heute zu sterben“ bedeutet aber auch: Ich lebe jede Minute, die mir vergönnt ist, in voller Anerkennung und Wertschätzung ihres unendlichen Wertes.